Basisregeln für Laienhelfer, "psychische" 1. Hilfe kann jeder leisten |
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Basisregeln für Laienhelfer, "psychische" 1. Hilfe kann jeder leisten |
30.12.2004, 08:50
Beitrag
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Mitglied Gruppe: Globaler Moderator Beiträge: 26749 Beigetreten: 13.09.2003 Wohnort: Franken Mitglieds-Nr.: 12 |
Hallo Forum, hier wurde ja schon mehrfach über Erste Hilfe ect. diskutiert und sehr gute Ratschläge gegeben (Thread „unterlassene Hilfeleistung“). Ich habe mich deshalb noch mal etwas genauer mit dem Thema befasst und hierzu auch in einem sehr guten Buch „Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst“ von Bengel 2004 gelesen. Erschreckend für mich war, dass Bengel festgestellt hat, dass umso weniger geholfen wird, je mehr Leute vor Ort sind. Schlimmstes Beispiel dafür sicher vor ein paar Jahren, als Kinder im Olympia-See in München im Eis einbrachen und starben, OBWOHL etwa 30 Zuschauer am Ufer standen. Keiner hat geholfen. Also ich würde im Zweifel, selbst wenn bei einem Unfall schon 2 oder 3 Autos gehalten haben, dennoch kurz halten und schauen, ob die Leute nur rumstehen, oder dem Verletzten helfen. Der Autor Bengel hat in seinem Buch durch Befragung ehemaliger Unfallopfer auch festgestellt, dass diese extrem davon profitierten, wenn einfach jemand bei Ihnen war, sie beruhigte und vielleicht die Hand hielt. Dazu braucht man noch nicht einmal einen Erste-Hilfe-Kurs ! Und: je leichter ein Unfallopfer verletzt ist, desto mehr leidet es übrigens unter Gaffern. Bengel hat Basisregeln für Laienhelfer entworfen, die ich hier wiedergeben möchte. Er nennt sie die 4-S-Regeln. 1. SSSSSage dem Verletzten dass Du da bist und dass etwas passiert, um ihm zu helfen Also zum Verletzten gehen, mit Namen vorstellen „guten Tag, ich bin Herr/Frau... und bleibe bei Ihnen, bis der Krankenwagen kommt“. Info geben wie „der Krankenwagen ist schon informiert und auf dem Weg zu Ihnen“. 2.SSSSSSchirme den Verletzten ab vor Zuschauern. Gaffer direkt ansprechen „bitte treten Sie zurück !“. Zuschauern, die mit unnötigen Ratschlägen stören, und sich nicht abwimmeln lassen, mit Aufgaben betrauen (Unfallstelle absichern, Gaffer zurückhalten, Rettungsdienst einweisen ect.). 3. SSSSSSuche vorsichtig Körperkontakt mit dem Verletzten. Leichte Berührung wird von fast allen Verletzten als angenehm empfunden. Auf gleiche Höhe begeben (knieen/setzen), Hand halten oder Arm/Schulter berühren. Nicht streicheln, nur festhalten. Nicht an Kopf oder anderen Körperteilen (wird unangenehm empfunden). Versuchen, es dem Verletzten bequemer zu machen, also z.B. Decke besorgen /Jacke unter Kopf./ enge Kleidungsstücke oder Gürtel vorsichtig öffnen). 4. SSSSSSprich u.höre zu. Wenn der Verletzte redet, nur aufmerksam u. geduldig zuhören u. evtl. kleine Zwischenfragen stellen oder mit „aha, mmmmh ect.“ signalisieren, dass man genau zuhört. Reden in ruhigem Tonfall, keine Vorwürfe (sie waren zu schnell... hatten kein Licht an...ect.). Fragen, ob man jemanden benachrichtigen soll. Mitleid darf gezeigt werden ! Wenn der Verletzte nicht spricht, einfache Fragen (wo wollten sie denn hin/ liegen Sie bequem, ist Ihnen kalt ?). So, ich fand das eigentlich ganz prima, was Bengel sich ausgedacht hat und hoffe, es hilft vielleicht weiter in der Unsicherheit, wie man mit Unfallopfern (oder auch sonstigen Akut-Kranken) umgeht ! Praktische Erfahrungen und Erlebnisse des Users @Hornblower aus dem gleichen Thread: Ich kann aus 2 1/2 Unfallerlebnissen berichten, bei denen die Hilfe durch Passanten mangelhaft war. 1.) Linksabbieger-Unfall auf einer Kreuzung, Frau in altem Fiesta hat Mann in neuem Mercedes anscheinend übersehen. Großes Chaos auf der Kreuzung, Mann wild am Gestikulieren und Schimpfen. Alle Passanten wandten sich dem Mann zu, dem es ansonsten aber anscheinend recht gut ging. Keiner beachtete die Frau, die mit blutender Stirn zusammengesungen am Rand auf einer Treppenstufe saß. Polizei und Krankenwagen waren schon gerufen, aber die Frau war sooo dankbar für die Ansprache und beruhigte sich dann auch zusehends. So kann man mit einfachen Mitteln anderen Helfen. Und ich als Helfer hatte ein gutes Gefühl dabei. Merke: erste Hilfe ist wichtig, kann einfach sein und Spaß machen. Rumstehen ist dagegen öde! 2.) Landstraße, Kurve, Schnee. Frau in Fiesta (scheint wohl mein Schicksal zu sein...) verlor Kontrolle über ihr Auto und landet vor einem Baum. Auto hinüber, die Dame hatte aber weitgehend Glück gehabt und nur Schrammen am Arm und im Gesicht. Auch hier kam ich nicht als erster, aber die anderen hatten wohl nur gefragt, ob ihr etwas passiert sei. Sie hatte wohl geantwortet, es ginge, und darauf sind die anderen wieder in ihre warmen Autos gestiegen und weitergefahren. Die Frau benötigte aber erst einmal Ansprache, um sich zu beruhigen. Auf Nachfrage fiel ihr dann ein, daß sie mal telefonieren möchte, um ihren Sohn im Nachbardorf anzurufen. Für das geliehene Handy war sie unendlich dankbar. Es ist wirklich frappierend, wie Opfer erst einmal wieder in die Realität zurückfinden müssen. Ansprache ist die einfachste Hilfe. 3.) Jo, da war ein Ding: Rollschaden auf einem Parkplatz. 2 frauen wollten gleichzeitig ausparken und trafen sich in der Mitte. Als ich in den angrenzenden Supermarkt ging, grinste ich noch breit (Frau am Steuer, und so...). Beide Frauen saßen hinter ihrem Steuer. Als ich meine Enkäufe in Ruhe beendet hatte, war die Situation auf dem Parkplatz noch immer unverändert. Das machte mich stutzig: Auf Anfrage, ob ich helfen könne, bekam ich von der angesprochenen Dame ein klägliches "Jaaaa". Was war passiert? Die Damen hatten sich also angebumst, waren kurz ausgestiegen, hatten sich gegenseitig angeschrien, und haben sich dann wieder in ihre Schneckenhäuser zurückgezogen. Und warteten anscheinend auf ein Wunder. Also nahm ich mir die Zeit, mir den Unfallhergang schildern zu lassen, regte dann an, sie mögen doch Adressen und Versicherungen austauschen, wir klärten, daß beide nicht die Polizei für die Bagatelle nerven wollten und dann verabschideten wir uns alle einträchtig. OK, die beiden haben sich dann später vor Gericht wiedergesehen, aber das war dann nicht mehr mein Bier. Auch hier: Offenbar Schockwirkung und Ratlosigkeit, die durch Ansprache gelindert werden konnte. Moral der Geschichten: Die 4 S sind richtig gut, und wenn Ihr das nächste mal an einen Unfallort kommt, nehmt Euch Zeit für diejenigen, die Ansprache benötigen. -------------------- Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft (Emil Zatopek)
Wenn du laufen willst, dann lauf eine Meile. Willst du aber ein neues Leben, dann lauf Marathon (Emil Zatopek) >>UNICEF - Running for Children<< |
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24.03.2007, 17:14
Beitrag
#2
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Mitglied Gruppe: Members 1000+ Beiträge: 9137 Beigetreten: 15.12.2004 Mitglieds-Nr.: 7279 |
Hallo Forum,
es gibt Untersuchungen, daß sich nur 10-15% der Bevölkerung eine fachgerechte EH überhaupt zutrauen, kein Wunder also, daß die Leute Angst haben. Wenn ich privat Erste Hilfe (EH) leiste und auch bei unseren Rettungsdienst-Einsätzen fällt mir folgendes auf: Wenn Leute da sind, sind diese sehr bemüht und wollen helfen, sind aber oft völlig überfordert und machen einiges falsch. Ich hatte erst kürzlich einen Einsatz, wo ein Mann in einem Laden plötzlich mit Herz- Kreislandstillstand umfiel, die 5-6 Ersthelfer hatten ihn (er war schon gut blau) in stabile Seitenlage gebracht und schrien alle "der atmet nicht!!!". Auf die Idee, Atemspende zu geben oder gar Herzdruckmassage, ist keiner gekommen. Das Einzige, was wohl fast alle noch vom EH-Kurs im Kopf haben, ist diese unsäglich komplizierte stabile Seitenlage . 90% der Patienten werden so hingelegt (bzw. so, wie die Leute denken, es sei eine stabile Seitenlage), wobei der Großteil von denen wach und ansprechbar ist, so daß es Unsinn ist, den Patienten umzulagern und ihm dadurch vielleicht Schmerzen zuzufügen. Seitenlage braucht man nur -und diese Fälle sind eher selten- wenn der Patient bewußtlos ist, aber selbsttätig und gut atmet . Die komplizierte stabile Seitenlage ist nur nötig, wenn man alleine ist und vom Patienten wegmuß, sonst hält man ihn einfach in Seitenlage fest und spart sich den schwierigen Vorgang, die Arme und Beine stabil zu "ordnen" ... es geht ja nur darum, daß im Zweifel Erbrochenes rauslaufen kann. Lustig finde ich, daß ausgerechnet Kreislaufkollapse, die wegen zu niedrigem Blutdruck umgefallen und nach Sekunden wieder wach sind (im Gesicht aber leichenblass) ganz häufig auf Stühle u.ä. gesetzt werden, was den Blutdruck nicht unbedingt verbessert. Im Prinzip hat man bei Unfällen 3 Patientengruppen: 1. verletzt, aber wach, normale Atmung und Gesichtsfarbe -> sollte so wie es ihm bequem ist liegen- oder im Auto sitzenbleiben, bis wir fachgerecht bergen (wegen Wirbelsäulenverletzungen). Helm bei Bikern bleibt drauf, Kleidung lockern! 2. leichtverletzt und "im Schock", klagt Schwindel, ist wach, aber sehr blass im Gesicht (teils auch schwitzige Haut) -> ist schon ausserhalb des Autos ->Liegen mit Beine hoch. -> noch im Auto -> Sitz zurückschieben, Rückenlehne zurückkurbeln, möglichst flach lagern. 3. verletzt, bewußtlos, keine sichtbare Atmung oder "Schnappatmung" = ganz seltene, röchelnde Atemzüge, grau im Gesicht mit blauen Lippen/ Ohren/ Fingern -> raus aus dem Auto wenn möglich, Rückenlage, Wiederbelebung (hat Wetterfrosch ja prima beschrieben). Im häuslichen Umfeld bzw. außerhalb des Straßenverkehrs gilt das gleiche wie oben, es kommt noch eine Patientengruppe dazu: 4. Starke Atemnot und/oder Herzschmerzen bei wachem Patienten -> sitzen, Fenster auf, beruhigen!!! (im Liegen kriegt der gar keine Luft mehr) Ich fände einen regelmäßigen EH-Auffrischungskurs als Pflichtveranstaltung, das Beste. Ich hab gelesen, daß es jetzt bei den großen Organisationen 3-stündige FreshUp-Kurse für EH gibt -wäre das nicht was für Euch? Gruß von COYOTA -------------------- Life is simple: eat, sleep, save lives !
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