EU-Führerschein und Fahren ohne Fahrerlaubnis, Die verschiedenen Fallgruppen |
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EU-Führerschein und Fahren ohne Fahrerlaubnis, Die verschiedenen Fallgruppen |
01.10.2005, 13:48
Beitrag
#1
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Mitglied Gruppe: Members 1000+ Beiträge: 5998 Beigetreten: 06.10.2004 Wohnort: Assen (Niederlande) Mitglieds-Nr.: 5924 |
Die Umsetzung der 2. Führerschein-Richtlinie der EU erfolgte in Deutschland in zwei Schritten: Zunächst galt vom 01.07.1996 bis zum 31.12.1998 eine Übergangsverordnung v. 29.07.1991; sodann trat am 01.01.1999 die jetzt noch geltende Fahrerlaubnisverordnung in Kraft. Eine weitere Zäsur stellt sodann das sog. Kapper-Urteil des EuGH vom 29.04.2004 dar, durch welches Deutschland gezwungen ist, Fahrerlaubnisse, die von einem anderen EU-Staat erteilt wurden, uneingeschränkt anzuerkennen, insbesondere die Einhaltung des Wohnsitzprinzips nicht zu überprüfen. Schließlich stellt sich auch noch das Problem, ob man sich strafbar macht, wenn man einen ausländischen Führerschein im Inland benutzt, der von einem EU-Staat vor dessen Beitritt zur EU ausgestellt wurde. Zur Zeit werden von deutschen Fahrerlaubnisbehörden gegenüber Inhabern von EU-Fahrerlaubnissen teilweise dann sog. Nutzungsuntersagungen für das Inland ausgesprochen, wenn von dem betreffenden Fahrerlaubnisinhaber auf Grund von Eignungszweifeln aus der Zeit vor der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis nicht eine die Eignungszweifel behebende MPU beigebracht wird. Ob dies zulässig ist oder nicht, ist eine zur Zeit umstrittene und offene Rechtsfrage, die vom VG München dem EuGH zur Beantwortung vorgelegt worden ist. Aus dieser Rechtsentwicklung ergeben sich vier verschiedene Strafbarkeits-Problem-Felder: ____________________________________________________________________ * Da während der Geltung der Übergangsverordnung die EU-Führerscheine auch im Inland ohne Einschränkung benutzt werden durften, stellt sich die Frage, ob mit Einführung der Fahrerlaubnisverordnung (die insoweit vorübergehend eine eingeschränktere Benutzungserlaubnis enthielt, vgl. den inzwischen weggefallenen § 29 FeV und den noch angewandten § 28 FeV) sich auch wieder die sog. Altfälle strafbar gemacht haben. Dies wurde von den Gerichten unterschiedlich beantwortet: Während das OLG Karlsruhe VRS 101, 220 ff. (Beschl. v. 19.07.2001, Az: 2 Ss 173/00) und das OLG Köln DAR 2005, 106 f. (Beschl. v. 04.11.2004 - Ss 182/04) der Auffassung waren, dass sich jemand, der seine EU-Fahrerlaubnis vor dem 01.01.1999 erworben hatte, nicht strafbar machte, wenn er im Inland ein Kfz führte, haben das OLG Saarbrücken Blutalkohol 40, 153 ff. (Beschl. v. 19.07.2000 - Ss 25/2000 (28/00)) und der BGH Beschluß vom 20.06.2002 – 4 StR 371/01 – (DAR 2002, 406) in diesen Fällen Strafbarkeit angenommen. Hier ist aber wichtig, darauf hin zu weisen, dass diese Entscheidungen vor dem sog. Kapper-Urteil des EuGH vom 29.04.2004 ergangen sind! ___________________________________________________________________ * Für den Fall, dass jemand in einem ausländischen Staat vor dessen Beitritt zu EU eine Fahrerlaubnis erworben hat, ist vom AG Lüdinghausen NZV 2005, 112 (Urt. v. 12. 11. 2004 – 9 Ds 26 Js 1599/03) entschieden worden, dass keine Strafbarkeit vorliegt, weil mit dem EU-Beitritt diese Fahrerlaubnis eine vollwertige EU-Fahrerlaubnis geworden ist. ___________________________________________________________________ * Hat jemand im EU-Ausland eine Fahrerlaubnis erworben, so liegt solange keine Strafbarkeit vor, wie ihm nicht von einer deutschen Führerscheinbehörde der Gebrauch der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland ausdrücklich untersagt wird. Dies folgt unmittelbar aus dem Kapper-Urteil des EuGH v. 29.04.2004. Zu dieser Fallgruppe dürften zur Zeit die meisten Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis gehören. Auch das Urteil des OLG Köln DAR 2005, 106 f. (Beschl. v. 04.11.2004 - Ss 182/04) geht hiervon aus. ___________________________________________________________________ * Ist hingegen einem Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis wegen Nichtausräumung von Bedenken gegen seine Fahreignung durch Beibringung eines positiven MPU-Gutachtens der Gebrauch seiner Fahrerlaubnis im Inland wirksam untersagt worden, so liegt strafbares Fahren ohne Fahrerlaubnis vor, wenn er dennoch im Inland ein Kfz im öffentlichen Straßenverkehr führt. Gegen eine Verurteilung in einem solchen Fall könnte allenfalls eine Einzelanrufung des Bundesverfassungsgerichts oder des EuGH helfen. ___________________________________________________________________ -------------------- |
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01.10.2005, 14:01
Beitrag
#2
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Mitglied Gruppe: Members 1000+ Beiträge: 3399 Beigetreten: 01.05.2004 Mitglieds-Nr.: 3097 |
Danke.
Sehr gut! Anerkennung und Lob von meiner Seite !!! Gruss, Joe -------------------- "Wir sitzen alle im europäischen Boot, nur die Deutschen sind ständig seekrank." Romano Prodi, EU-Kommissions-Präsident a.D.
"An der Wurzel eines Problems sitzt immer ein Deutscher." Voltaire (1694-1778) Strichachtclub Deutschland Verfolge den Weg Deiner Geldscheine in Europa! Wichtig ist, daß man nicht aufhört zu fragen. A.Einstein |
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01.10.2005, 17:58
Beitrag
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Mitglied Gruppe: Members 1000+ Beiträge: 5998 Beigetreten: 06.10.2004 Wohnort: Assen (Niederlande) Mitglieds-Nr.: 5924 |
Mir ist noch ein strafrechtliches Urteil untergekommen, in dem sehr strikt das EuGH-Urteil für das Strafrecht umgesetzt wird:
Zitat Das OLG Saarbrücken NJW 2005, 1293 = NStZ-RR 2005, 50 ff. (Beschl. v. 04.11.2004 - Ss 16/04 und Ss 42/04) hat zur Nicht-Strafbarkeit des Gebrauchs einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland folgendes entschieden:
1. Ein Mitgliedstaat kann einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb versagen, weil nach den ihm vorliegenden Informationen der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats gehabt hat. Die Prüfung, ob die in Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 der Richtlinie 91/439 genannten Voraussetzungen für die Erteilung des Führerscheins vorliegen, ist ausschließlich Sache des ausstellenden Mitgliedstaats. 2. Ist eine zusätzlich zu einer Maßnahme i. S. des Art. 8 Abs. 1 der genannten Richtlinie angeordnete Sperrfrist für die neue Erteilung der Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bereits abgelaufen, so verbietet es Art. 1 Abs. 1 i. V. mit Art. 8 Abs 4 der Richtlinie 91/439 diesem Mitgliedstaat, weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem Betroffenen später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, abzulehnen. 3. Die Anerkennung eines solchen EU-Führerscheins kann auch nicht mit der Begründung versagt werden, der Betroffene habe die in seinem Fall erforderlichen Nachweise zur Wiedererlangung der Fahreignung oder Fahrfähigkeit (z. B. nach § 13 Nr. 2 FeV) nicht erbracht. 4. Die nach Ablauf der Sperrfrist erworbene Fahrerlaubnis ist vielmehr ipse iure im Inland wirksam. Sie berechtigt den Inhaber so lange zum Führen von Kraftfahrzeugen, bis auf ihn - erneut - eine der in Art. 8 Abs 2 der Richtlinie 91/439 genannten Maßnahmen angewendet wird. Auch von der Stellung eines Antrags kann die Wirksamkeit einer solchen Fahrerlaubnis im Inland nicht abhängig gemacht werden. -------------------- |
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02.10.2005, 08:30
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Mitglied Gruppe: Members 1000+ Beiträge: 3399 Beigetreten: 01.05.2004 Mitglieds-Nr.: 3097 |
Zitat Und noch etwas: Jetzt blähen wir wieder die Diskussion hier mit der strafrechtlichen Seite auf; gerade das wollte ich durch Verlagerung in einen gesonderten Thread eigentlich vermeiden. Die Bedeutung des Urteils des OLG (nicht OVG!!!) Saarbrücken kann doch dort diskutiert werden. Also wohl hier ... Verwaltungsrecht und Strafrecht sind zwar unterschiedliche Paar Schuhe - aber lange können sie nicht völlig unabhängig nebeneinander herwurschteln. Insofern finde ich es schon ein gutes Zeichen, daß die Rechte von EU-FS-Inhabern tendenziell zu erstarken scheinen ... Mag sein, erstmal nur strafrechtlich. Mir als Betroffener ist es jedoch wichtig, gerade weil ich halt verschiedendlich vorbelastet bin, keine Straftat zu begehen, wenn ich mit meinem Polenschein am deutschen Strassenverkehr teilnehme. Denn der Führerschein soll mir ja helfen, wieder zu einem vernünftigen Leben und Lebensunterhalt zurückzukehren und mich nicht in irgendein "Unglück" stürzen ... Daher sagt mir das Urteil aus Saarbrücken doch sehr zu - mal unabhängig von weiterführenden rechtlichen Betrachtungen. Und ich hoffe, daß sich diese Saarbrücker Einzelmeinung zu dem Thema bundesweit durchsetzt. -------------------- "Wir sitzen alle im europäischen Boot, nur die Deutschen sind ständig seekrank." Romano Prodi, EU-Kommissions-Präsident a.D.
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02.10.2005, 21:29
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Mitglied Gruppe: Foren-Insider Beiträge: 21408 Beigetreten: 24.09.2003 Mitglieds-Nr.: 175 |
Zitat (strichachtdoktor @ 02.10.2005, 09:30) Verwaltungsrecht und Strafrecht sind zwar unterschiedliche Paar Schuhe - aber lange können sie nicht völlig unabhängig nebeneinander herwurschteln. In der Tat sollten sich Strafrecht und Verwaltungsrecht ergänzen, aber nicht in Bezug auf bestimmte Rechtsfragen widersprechen. In der verwaltungsrechtlichen Diskussion sind doch zur Zeit 3 Standpunkte in der Verwaltungspraxis und der Rechtsprechung zu finden: -------------------------------------- 1. Die EU-Führerschein-Befürworter-Linie: (jüngster Beschluss OVG Koblenz): Ein nach Ablauf der deutschen Sperrfrist im EU-Ausland erteilter Führerschein ist ohne wenn und aber anzuerkennen; eine Nutzungsuntersagung erfordert Eignungszweifel, die auf Fehlverhalten nach der Neuerteilung zurückzuführen sind. 2. Die bayrische Verwaltungspraxis: Die EU-Führerscheine werden zunächst anerkannt, aber die alten Verkehrsverstöße können als Grundlage für eine MPU-Anordnung herhalten, so dass beim Nichtbeibringen einer positiven MPU eine NU ausgesprochen werden kann, selbst wenn nach Neuerteilung des EU-Führerscheins keine neuen Auffälligkeiten festgestellt wurden. 3. Die -§28-ist-weiterhin-anwendbar Linie (VGH Mannheim und einige andere erstinstanzliche Verwaltungsgerichte): Ein nach Ablauf der deutschen Sperrfrist im EU-Ausland erworbener Führerschein ist kraft § 28 FeV in Deutschland ungültig. Rechtsbehelfe gegen eine Nutzungsuntersagung sind unzulässig, weil die Nutzungsuntersagung an diesem Rechtszustand nichts geändert hat und deshalb eine Anfechtung der NU dem Betroffenen keine rechtlichen Vorteile vermitteln würde. ----------------------------------------- Die 3. Linie widerspricht natürlich der von @Lexus aufgelisteten strafgerichtlichen Rechtsprechung, und meiner Meinung nach auch dem eindeutigen Wortlaut des EUGH-Urteils. Dass hier Strafrecht und Verwaltungsrecht zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen, ist in der Tat unerträglich. Es wäre wünschenswert, wenn die 3. Linie aus der verwaltungsgerichten Rechtsprechung baldmöglichst verschwinden würde. Die Frage, ob nun die 1. oder die 2. Linie die richtige ist (meine völlig unmaßgebliche Meinung tendiert übrigens zur 1. Linie), ist aber eine ausschließlich verwaltungsrechtliche Frage, deren Beantwortung alleine und abschließend den Verwaltungsgerichten ggf. nach Einschaltung des EUGH überlassen werden sollte. D.h. wenn eine Nutzungsuntersagung erfolgt ist, dann kann sie nur im Verwaltungsstreitverfahren (Widerspruch und Anfechtungsklage) überprüft werden. Unterlässt der Betroffene eine solche Überprüfung, dann ist den Strafgerichten später eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung verwehrt. Auch wenn die 1. Linie die richtige sein sollte, ist eine nach der 2. Linie erteilte NU zu beachten, ein Fahren trotz NU ist eine Straftat und als solche auch von den Strafgerichten zu verfolgen. Verwaltungsakte dienen der Rechtsklarheit. Es muss klar sein, ob jemand eine Fahrerlaubnis hat oder nicht. Ob der Verwaltungsakt rechtmäßig war oder nicht, kann nicht später im Strafverfahren überprüft werden. Sonst könnte ja auch jemand, der durch eine Führerscheinprüfung gefallen ist, versuchen trotzdem zu fahren und wenn er deswegen angeklagt wird, dann vor dem Strafrichter behaupten, der Prüfer hätte ihn zu Unrecht durchfallen lassen. Soll so jemand etwa nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" freigesprochen werden, nur weil der Prüfer sich nicht mehr an den Durchfallgrund erinnern kann? -------------------- "Alle Mitgliedstaaten hätten Grund sich zu beklagen. Skouris betont, dass gerade dies beweise, dass der EuGH seine Arbeit gut mache."
(Interview mit Vassilios Skouris am 20.04.06 im ORF) |
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Vereinfachte Darstellung | Aktuelles Datum: 24.11.2024 - 08:22 |