... Forum Straßenverkehr - der Verkehrstalk im Web


Willkommen, Gast ( Anmelden | Registrierung )

 
Reply to this topicStart new topic
> Gefahrenbegriffe im Verkehrsrecht, i. V. m. Erlöschen BE und Fahrzeugsicherstellungen
Burkhard
Beitrag 28.05.2006, 21:05
Beitrag #1


Mitglied
*******

Gruppe: Globaler Moderator
Beiträge: 4769
Beigetreten: 20.01.2005
Wohnort: Berlin
Mitglieds-Nr.: 7902



    
 
QUELLTEXT
[URL=http://www.verkehrsportal.de/board/index.php?showtopic=38306]FAQ: Gefahrenbegriffe im Verkehrsrecht - i. V. m. Erlöschen BE und Fahrzeugsicherstellungen[/URL]


Gefahrenbegriffe im Verkehrsrecht (Nunmehr leicht verändert, als gemeinsame Veröffentlichung mit Prof. Dr. Müller im VD und SVR 11/06 abgedruckt.)

Hinweis: diese Ausarbeitung spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Verfasser wider und ist nicht rechtsverbindlich.

Im Verkehrsrecht werden immer wieder bestimmte Gefahrenbegriffe verwendet. Hierbei geht es insbesondere um die Formulierungen:

- „… wodurch die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war.“
- „… und gefährdeten dadurch andere.“


oder um die Gefahrenbegriffe:

- abstrakte Gefahr (insbesondere im Zusammenhang mit dem Erlöschen der BE)
- konkrete Gefahr

Bußgeldbescheide, die ohne Berücksichtigung der tatbestandlichen Voraussetzungen erlassen werden, sind zumeist rechtsfehlerhaft und führen bei gerichtsanhängigen Verfahren regelmäßig zur Einstellung.

Die folgenden Ausführungen sollen helfen, die Begrifflichkeiten zuzuordnen und deren Bedeutung zu verstehen.

Die Beantwortung der Frage, ob nun eine wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit oder eine Gefährdung anderer vorliegt, muss anhand der Gefahrenbegriffe im Verkehrsrecht erläutert werden.


1. „… und gefährdeten dadurch andere.“ (= konkrete Gefahr)

§ 1 Abs. 2 StVO schreibt vor, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten hat, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Der Gefahrenbegriff i. S. d. § 1 Abs. 2 StVO fordert zur Erfüllung des Tatbestands immer eine konkrete Gefahr.

Gefährdung (konkrete Gefahr)
Gefährdung ist die Herbeiführung eines Zustands, der die Besorgnis begründet, eine Schädigung (Verkehrsunfall) stehe unmittelbar bevor. Wenn dem Betroffenen der Vorwurf der Gefährdung eröffnet wird, dann ist immer die konkrete Gefährdung tatbestandsmäßig (vgl. OLG Köln v. 3.9.96 in DAR 1996, 507); es genügt nicht, wenn der Eintritt eines Schadens nur denkbar ist, weil er noch vom ungewissen Hinzutreten weiterer Umstände abhängt.

Dem StVR Kommentar Hentschel, 38. Auflage zu § 1 StVO, Rn 35 ist zu entnehmen: "Gefährdung liegt vor, wenn Schaden für Leib oder Leben eines anderen wahrscheinlich ist und sein Ausbleiben nur vom Zufall abhängt, Bay VRS 48 296, NJW 88 273, Kar NZV 92 248, Kö DAR 96 507 …"

Zu ergänzen ist, dass das Wort „Zufall“ im Zusammenhang mit einer konkreten Gefährdung unbedingt weiterer Erläuterungen bedurft hätte, um die Aussage nicht als so „absolut“ stehen zu lassen. Denn auch bei der abstrakten Gefahr hängt ein Schadenseintritt vom Zufall ab. Bereits hieraus ergeben sich entsprechende Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu fehlerhaften Begriffsbestimmungen führen können.

Das Wort „Zufall“ ist in Verbindung mit dem Begriff der „konkreten Gefahr“ immer im engen Zusammenhang mit dem zu beurteilenden Geschehnisablauf zu betrachten. D. h. bei natürlicher Betrachtung des Verkehrsvorganges, bezogen auf den Zeitfaktor und die Örtlichkeit, hätte ein Schaden eintreten müssen. Dass es nicht zu einem Unfall kam, war tatsächlich aber dem Zufall geschuldet. Es lag nicht mehr im Ermessen des Verursachers den Schadenseintritt abzuwenden.

Ganz besondere Bedeutung für eine Anzeige erlangt die Forderung, dass die konkrete Gefährdung im Urteil nachprüfungsfähig festzustellen ist (vgl. KG VRS 15 455, Fra VRS 68 376).

Das bedeutet, dass zunächst einmal der Anzeige zu entnehmen sein muss, worin die konkrete Gefahr zu begründen ist. Das Gericht muss dem in der Hauptverhandlung zweifelsfrei folgen können, da die vor Ort getroffenen Feststellungen des Anzeigenden der Urteilsbegründung zu Grunde gelegt werden.

Gefährdung „Anderer“
Im amtlichen Text der StVO wird das Wort „Anderer“ (§ 1 Abs. 2 StVO) bewusst groß geschrieben, um die besondere Bedeutung hervorzuheben. Anderer muss dabei kein Verkehrsteilnehmer sein. Beispielsweise kann dies auch ein Fahrgast in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder ein Beifahrer sein. Beides sind keine Verkehrsteilnehmer, da sie sich nicht verkehrserheblich verhalten. Wobei diese Begrifflichkeiten für die weitere Problematik unbedeutend sind. Einzig entscheidend ist, dass ein anderer nur eine Person sein kann.

Denn oftmals ist unbekannt, dass im Verkehrsrecht nur dann der Gefährdungstatbestand des § 1 StVO gerechtfertigt ist, wenn eine Person gefährdet wurde. Im Ergebnis können Sachwerte somit nicht gefährdet werden (vgl. Hentschel 38. Auflage Rn 38).

Im Bereich der Verkehrsvergehen i. S. d. §§ 315 b und 315 c StGB wird daher explizit darauf hingewiesen, dass auch die Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert tatbestandsmäßig ist.


2. „… die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war.“ (= abstrakte Gefahr)

Mit der Formulierung: „Die Verkehrssicherheit war wesentlich beeinträchtigt“ wird eine abstrakte Gefahrenlage beschrieben. Bei dieser Gefahrenart ist ein Gefahreneintritt zwar möglich, ob es aber zu einer konkreten Gefahr für andere oder gar zu einer Schädigung (Verkehrsunfall) kommt, hängt vom Hinzutreten weiterer Umstände, also vom Zufall ab. In diesem Fall ist der Gefahreneintritt jedoch zeitlich und örtlich nicht bestimmbar (= Abgrenzung zur konkreten Gefahr). Der Gefahreneintritt muss aber bei natürlicher Betrachtung des Verkehrsvorganges wahrscheinlich sein.

Eine abstrakte Gefahr ist bei einer ungesicherten Ladung, defekter Bremse oder Lenkung grundsätzlich gegeben. Das ist damit zu begründen, dass ein Fahrzeug unter allen Verkehrsbedingungen, die zum normalen Fahrbetrieb gehören, sicher zu beherrschen sein muss und die von einem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr (siehe § 30 StVZO) so gering wie möglich zu halten ist. Dabei ist unbedingt zu berücksichtigen, dass zum „normalen“ Fahrbetrieb auch schlechte Wegstrecken, plötzliche Ausweichmanöver oder Gefahrenbremsungen gehören (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 6.9.1991, Az.: 1 Ss 265/91), die sich jederzeit realisieren können. Deshalb wird bereits das Unterlassen von Ladungssicherungsmaßnahmen und das Führen eines Fahrzeugs mit technischen Mängeln sanktioniert und nicht erst dann, wenn ein Erfolg, die Gefährdung oder Schädigung anderer oder von Sachwerten, eingetreten ist. So ist z. B. ein Verstoß gegen § 22 Abs. 1 StVO (Ladungssicherung) ein abstraktes Gefährdungsdelikt und kein Erfolgdelikt. Erst durch das Hinzutreten von weiteren Tatbestandsmerkmalen, die konkrete Gefährdung oder Schädigung, wird es zum Erfolgsdelikt. Analoge Beispiele sind auch der StVZO zu entnehmen.

Ich möchte die Frage anhand von Fahrwerkstieferlegungen vertiefen.

Für Pkw gibt es kein gesetzlich vorgeschriebenes Maß für die Bodenfreiheit. Für Lkw und Geländewagen ja. Es gibt für Pkw lediglich eine entsprechende Richtlinie. Unabhängig davon müssen gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 StVZO Fahrzeuge so gebaut und ausgerüstet sein, dass ihr verkehrsüblicher Betrieb niemanden schädigt oder mehr als unvermeidbar gefährdet, behindert oder belästigt.

Darüber hinaus gibt es bestimmte Vorschriften, in denen feste Höhen vorgeschrieben sind (Scheinwerfer und Kennzeichen).

Tieferlegungen bei denen nur noch eine Bodenfreiheit von 6 cm zu verzeichnen ist, sind keinesfalls mehr akzeptabel. Hier besteht jederzeit die Gefahr, dass das Fahrzeug bei Fahrbahnunebenheiten (Spurrillen) aufsetzt und dadurch die Ölwanne abreißen kann. Auch ist in diesem Zusammenhang immer wieder zu verzeichnen, dass Teile des Auspuffs abreißen oder sich lösen. Eine abstrakte Gefährdung ist mitnichten nur auf das augenblickliche Fahrverhalten zu projektieren. Eine Gefährdung kann nämlich auch daraus erwachsen, wenn ein Fahrzeug unversehens in einem Gefahrenbereich, z. B. mitten auf einer Kreuzung oder einer Autobahn, liegen bleibt und dadurch ein gefährliches Hindernis entsteht (z. B. durch Ölverlust an der Motorölwanne). Es kann sich also bei objektiver Betrachtung und Berücksichtigung aller Umstände um eine abstrakte Gefahrenlage handeln.

Da eine Tieferlegung zudem einen Austausch bzw. eine Veränderung des Fahrwerks voraussetzt, durch die die BE des Fahrzeuges tangiert wird, liegt dann auch ein Erlöschen der BE vor (siehe dort).

In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass es für die Polizei schlichtweg unmöglich ist, vor Ort eine klare Beweissicherung zu betreiben. Hier besteht der Verdacht (und dieser reicht für die weiteren Maßnahmen aus!!!), dass das Fahrzeug nicht mehr den Bau- und Betriebsvorschriften entspricht und die Verkehrssicherheit wesentlich darunter leidet. Es könnte ja auch eine unzulässige Kürzung der Fahrwerksfedern vorliegen oder die ursprünglich eingetragene Tieferlegung wurde anderweitig verändert. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass zur Beweissicherung die Sicherstellung (siehe hier) des Fahrzeuges erfolgt, damit ein amtlich anerkannter Gutachter für den Kraftfahrzeugverkehr die objektiv vorhandenen Veränderungen auflistet und eine mögliche Gefährdung beschreibt.

Zurück zum Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung.

In wieweit nun die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt ist, hängt von der Unvorschriftsmäßigkeit ab und ob ein Fahrzeug in Gefahrensituationen mit Sicherheit noch beherrschbar bleibt und innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Mindestanforderungen abgebremst oder gelenkt werden kann. Bei Bremsenmängeln ist beispielsweise insbesondere das Wärmefading zu berücksichtigen. Es wird also, bezogen auf jeden Einzelfall, zunächst eine subjektive Einschätzung vorgenommen, die auf Grund der objektiven Komponenten, jederzeit der richterlichen Nachprüfung unterliegt. Aus diesen Einschätzungen leitet sich im Übrigen auch ab, ob der weitere Betrieb des Fahrzeugs ohne Mängelbeseitigung untersagt werden muss oder mit entsprechenden Auflagen verbunden wird. Damit kommt der Beweisführung und der Anzeigenfertigung eine entsprechende Bedeutung zuteil.


Beispiele (erläutert anhand von Ladungssicherungsverstößen):

1. Ist die Ladung eines Lkw an sich geeignet durch ihr Gewicht oder Ausmaß, infolge Verrutschens oder Herabfallens, die Verkehrssicherheit wesentlich zu beeinträchtigen, dann liegt eine abstrakte Gefährdung vor, die sich durch Hinzutreten weiterer Umstände jederzeit realisieren (konkretisieren) kann.

2. Rutscht Ladung von der Ladefläche, ohne einen Schaden anzurichten, oder Personen zu gefährden, dann bleibt es bei einer abstrakten Gefahr.

3. Rutscht die Ladung von der Ladefläche und beschädigt beispielsweise einen Pkw, dann liegt ein schädigendes Ereignis im Straßenverkehr, ein Verkehrsunfall vor. Aber keine Gefährdung, wobei dies unbedeutend ist, da die Rechtsfolge bei einer Schädigung (Unfall) höher angesiedelt ist.

4. Rutscht die Ladung von der Ladefläche ohne einen materiellen Schaden anzurichten und ein anderer kommt nur durch Zufall nicht zu Schaden, weil er beispielsweise zur Seite gesprungen ist, dann liegt eine konkrete Gefährdung vor. Allerdings ist das wiederum kein schädigendes Ereignis, d. h. kein Verkehrsunfall.


Fazit
Die enge und m. E. folgerichtige Auslegung der Begrifflichkeiten lässt nur den Schluss zu, dass selbst dann, wenn die Ladung vom Fahrzeug fällt und kein VT unmittelbar gefährdet wurde, der Tatbestand der Gefährdung i. S. v. § 1 Abs. 2 StVO nicht zur Anwendung kommen kann. Es bleibt bei einer abstrakten Gefährdung. Darüber hinaus, wird beim Vorliegen technischer Mängel, die nach der Richtlinie für die Durchführung von HU und die Beurteilung der dabei festgestellten Mängel an Fahrzeugen nach § 29 StVZO, Anlage VIII und VIIIa (HU-Rili), als „erhebliche Mängel“ einzustufen sind, allzu häufig eine wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit oder gar eine Gefährdung indiziert. Beides muss aber hinreichend begründet werden können, da diese Tatbestände bei einem Einspruch auch der richterlichen Nachprüfung unterliegen, das Gericht wiederum die Tatbestände detailliert im Urteil – ebenso nachprüfungsfähig – begründen muss.

Ebenso verhält es sich bei allen anderen verkehrsrechtlichen Tatvorwürfen, die als Tatbestandsmerkmal eine wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit oder eine Gefährdung anderer beinhalten.

Der Beitrag wurde von Expert bearbeitet: 23.02.2007, 16:12


--------------------
Go to the top of the page
 
+Quote Post

Reply to this topicStart new topic
1 Besucher lesen dieses Thema (Gäste: 1 | Anonyme Besucher: 0)
0 Mitglieder:

 



RSS Vereinfachte Darstellung Aktuelles Datum: 23.11.2024 - 22:22